Die Ereignisse der letzten Wochen bringen einen atheistischen und religionskritischen Menschen wie mich zur schieren Verzweiflung: Was soll ich denn noch schreiben, wenn sich die Kirchen selbst demontieren? Wie soll ich den Überblick behalten über all die schrecklichen Taten und deren Vertuschungen, die in letzter Zeit über die Kirche bekannt wurden?
Endlich wachen viele Kirchenmitglieder auf und treten aus den Kirchen aus (nur drei Beispiele: Würzburg, Focus, Bamberg und Osnabrück, Focus sowie das Erzbistum Freiburg). Bei einem hitzigen „Gefecht über die Sexualmoral der Kirche“ während der Talkshow bei Anne Will (AtheistMediaBlog) wird der ganzen Nation vor Augen geführt, welche veralteten und diskriminierenden Moralvorstellungen durch die Kirchen vertreten werden. Nebenbei konnte man auch viel über die Art und Weise, wie man in den Kreisen der Talkshowteilnehmer diskutiert, lernen: nur niemanden zu Wort kommen lassen und möglichst lautstark die eigene Meinung in den Raum brüllen. Sollte sich so ein Bischof benehmen? Nur wenig später stellt Kurienkardinal Bertone eine Verbindung zwischen Pädophilie und Homosexualität her und widerspricht damit allen wissenschaftlichen Ergebnissen (Süddeutsche Zeitung). Wie dreist will die katholische Kirche denn noch Unwahrheiten verbreiten?
Eigentlich fehlte mir der Elan, zu diesen ganzen Dingen auch noch meinen Kommentar hinzuzufügen. Aber da nun mein spezieller Freund (atheologie.de), Herr Mixa, Bischof von Augsburg, als Lügner entlarvt wurde, kann ich mich nun auch nicht mehr zurückhalten.
Herr Mixa hatte noch vor kurzem eindeutig erklären lassen, daß er „zu keinem Zeitpunkt […] körperliche Gewalt gegen Jugendliche oder Kinder […] angewendet hat“ (siehe z.B. Videobeitrag der Süddeutschen). Im gleichen Beitrag der Süddeutschen spricht die Bischofskonferenz Herrn Mixa das Vertrauen aus. Nun gibt Herr Mixa jedoch zu, „Wenn jetzt das Thema auf die Frage nach Ohrfeigen zugespitzt wird, will ich ganz ehrlich sagen, dass ich als langjähriger Lehrer und Stadtpfarrer im Umgang mit sehr vielen Jugendlichen die eine oder andere Watschn von vor 20 oder 30 Jahren natürlich nicht ausschließen kann“ (Süddeutsche Zeitung). Herr Mixa hat also eindeutig in aller Öffentlichkeit gelogen und kann somit als Lügner bezeichnet werden.
Wenn die katholische Kirche solch einen Würdenträger weiter in ihren Reihen duldet, wird sie sich jegliches, noch vorhandenes Vertrauen der Öffentlichkeit verspielen. Psychologisch ist es natürlich interessant, daß oft gerade die eifrigsten Vertreter von „Moral und Anstand“ sich nicht an die einfachsten ethischen Regeln halten. Man kann mit Spannung auf die nächsten Schlagzeilen warten, denn noch sind Mixas Verwicklungen in „finanzielle Unregelmäßigkeiten“ (Süddeutsche Zeitung) noch nicht vollends geklärt. Zu diesen „Unregelmäßigkeiten“ gehören nicht nur Kunstgegenstände, sondern auch Mixas Bischofsring, dessen „Rechnung [zwar] ans Pfarramt gerichtet [wurde] – gezahlt hat aber die Waisenhaus-Stiftung Schrobenhausen“. (Süddeutsche, Druckausgabe vom 17.04.2010). Vielleicht erinnert sich Herr Mixa auch irgendwann an „Fausthiebe gegen den Oberarm und Schläge auf das Gesäß mit Teppichklopfer und Stock“ (Süddeutsche Zeitung), die ihm in eidesstattlichen Erklärungen vorgeworfen werden.
Es ist offensichtlich, daß Herr Mixa sich mit einer Umdeutung des Begriffes „Gewalt“ herausreden möchte (Stern). Möglicherweise ist eine Ohrfeige keine Gewalt? Ja wo sind wir denn? Herr Mixa – wenn Sie Gewalt angewendet haben, dann geben Sie es doch einfach zu! Wegen einer Ohrfeige in der damaligen Zeit sollte man heute niemandem einen Strick drehen. Aber es muß offen darüber gesprochen werden. Und natürlich muß geklärt werden, ob die darüber hinausgehenden Schläge und Prügel, wie in den Erklärungen der Opfer behauptet, stattgefunden haben. Der Vorwurf, ein Kind auf den nackten Hintern geschlagen zu haben (t-online), trägt natürlich noch einen besonderen Geschmack von Erniedrigung und Perversion. Spätestens wenn sich diese Vorwürfe, die weit über eine Ohrfeige hinausgehen, als wahr herausstellen sollten, ist solch ein Mensch untragbar in diesem Amt.
Wem nach den Ereignissen der letzten Wochen nicht klar geworden ist, daß es den Kirchen, die sich selbst gerne als Bewahrer der Moral sehen, nicht im geringsten zusteht, sich als ethische Vorzeigeinstitution zu präsentieren, dem ist nicht mehr zu helfen.
Selbstverständlich wird versucht, die Schande möglichst klein zu halten. Dasselbe Verhalten lässt sich auch aus dem Umgang mit der Frage nach dem Holocaust herauskrystallisieren. Es wurde sich nie dafür entschuldigt, ja kaum darüber überhaupt gesprochen. Wenn danach gefragt wird, findet meist eine Einräumung statt, die a. mehrdeutig und b. sehr eingeschränkt ist. So sehr, dass man das Gefühl hat, das Thema sei nun mal kompliziert und uninteressant, und die Kirche würde sich bereits darum kümmern.
Die Frage ist nur, ob die Menschen darin nicht noch mehr Schande sehen. Wenn es nicht der Verein selbst ist, der schlecht ist, sondern der Verein gegen das Schlechte in seiner Mitte vorgeht, dann kann er auch offen und ehrlich Stellung nehmen.