Die Mär vom Automatismus von Neuwahlen bei Ablehnung des Koalitionsvertrags

In den kommenden Tagen dürfen SPD-Mitglieder abstimmten, ob Ihre Partei eine große Koalition mit der CDU und mit der CSU eingehen soll. Von verschiedene Seiten wurden Warnungen geäußert, daß eine Ablehnung des Koalitionsvertrages direkt zu Neuwahlen führen würde (Michael Fuchs, CDU , Andrea Nahles, SPD, Seehofer, CSU).

Tatsache ist jedoch, daß ein Herbeiführen von Neuwahlen nur unter Mißachtung des Geistes des Grundgesetzes möglich wäre!

Nur an wenigen Stellen (z.B. Rhein-Zeitung) wird öffentlich angesprochen, wie Neuwahlen konform mit unserem Deutschen Grundgesetz durchgesetzt werden sollten. Denn glücklicherweise setzt unser Grundgesetz hohe Hürden, bevor die rechtens gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger, der Deutsche Bundestags, aufgelöst werden darf. Dies ist nur in zwei Fällen erlaubt (Bundeszentrale für politische Bildung):
1. Wenn einer Kanzlerin oder einem Kanzler durch den Bundestag das Vertrauen entzogen wurde („Vertrauensfrage“), und der Bundespräsident das Parlament auflöst.
2. Wenn nach der dritten Wahlphase der Kanzlerwahl ein Minderheitenkanzler oder eine Minderheitenkanzlerin gewählt wurde, und der Bundespräsident diesen Kanzler oder diese Kanzlerin nicht akzeptiert, kann der Bundespräsident das Parlament ebenfalls auflösen.

Der wissenschaftliche Dienst hat hierzu eine hervorragende Analyse veröffentlicht (Bundestag.de):
Bevor Neuwahlen nach einer rechtmäßig durchgeführten Bundestagswahl angesetzt werden dürfen, müssen verpflichtend die drei Wahlphasen durchgangen werden: In der ersten Wahlphase hat der Bundespräsident das Vorschlagsrecht; gewählt ist als Kanzlerin oder Kanzler, wer die absolute Mehrheit des Bundestags hinter sich hat. Scheitert diese Wahl, hat der Bundestag selbst 14 Tage Zeit, Kanzlerkandidatinnen oder -kandidaten vorzuschlagen und über diese abzustimmen, wobei wieder die absolute Mehrheit entscheidend ist.
Erst wenn diese Zeit von 14 Tagen verstrichen ist, ohne daß eine Kanzlerin oder ein Kanzler gewählt wurde, geht es in die dritte Wahlphase. Hier dürfen mehrere Kandidaten und Kandidatinnen antreten, gewählt ist, wer die einfache Mehrheit erhält. Erhält ein Kandidat oder eine Kandidatin bei dieser Wahl sogar die absolute Mehrheit, kann das Parlament nicht aufgelöst werden! Nur wenn in diesem Wahlgang ein „Minderheitenkanzler“ mit relativer Mehrheit gewählt wurde, darf der Bundespräsident innerhalb von sieben Tagen das Parlament auflösen.

Beispielhaft könnten Neuwahlen also nur dann stattfinden, wenn in einem ersten Wahlgang Frau Merkel nicht mit absoluter Mehrheit gewählt wird, in der zweiten Wahlphase das Parlament ebenfalls keinen Kandidaten oder Kandidatin mit der absoluten Mehrheit wählt, oder erst gar niemanden vorschlägt, und anschließend, nach der dritten Wahlphase, der Minderheitenkanzlerwahl, der Bundespräsident dem vom Parlament gewählten Kanzler das Amt nicht zutraut und er den Bundestag auflöst.
Als Alternative könnte sich Frau Merkel als Kanzlerin wählen lassen, und später, nach Abschluß der Kanzlerwahl, die Vertrauensfrage an das Parlament stellen und die Abgeordneten entgegen Ihrer ursprünglichen Wahlaussage die Kanzlerin nicht unterstützen.

In allen Fällen sieht man: hier gibt es keinen Automatismus. Würden mit den oben beschriebenen Vorgehensweisen Neuwahlen herbeigeführt werden, würde man die Vorgaben des deutschen Grundgesetzes mißbrauchen und die deutschen Bürgerinnen und Bürger durch ein Schauspiel respektlos behandeln.

Unsere Abgeordneten sind rechtens gewählt, und sie haben die Verpflichtung zur Kanzlerwahl. Alles andere wäre eine Verweigerung die Verantwortung, die durch das Volk gegeben wurde, zu tragen. Eine Warnung deutscher Politiker, daß eine Ablehnung des Koalitionsvertrages unvermeidlich zu Neuwahlen führt, ist entweder eine vorsätzliche Fehlinformation zur Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger, oder, was nicht weniger schlimm wäre: Unwissen.

Bild/Quelle: Alexander Hauk / www.bayernnachrichten.de